Dinkelsbühl - Von Menschen und Mauern

Seit bald sechshundert Jahren umschließt eine lange Stadtmauer die Altstadt von Dinkelsbühl. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Bewohner sie abtragen wollten, weil die Mauer ihre Schutzfunktion verloren hatte, schritt König Ludwig I. ein und untersagte das Schleifen des Bauwerks. So steht die Mauer heute noch.

 

Wie es ist, innerhalb der Mauern von Dinkelsbühl zu leben, die der Stadt ihr altertümliches Aussehen bewahrt haben, das weiß Monika Soltner. Sie führt in vierter Generation eine Gärtnerei. Die Rückwand des Hauses ist zugleich die Stadtmauer. Die Gärtnerin erinnert sich, wie einst Wildbienen, die in einer Mauernische lebten, die Pflanzen der Gärtnerei bestäubten. Gerade schneidet sie Blumen für die Dekoration der „Kinderzeche“, Dinkelsbühls großem Stadtfest, das bald stattfinden wird. Die Proben für die „Zech“, wie man hier sagt, leitet Kapellmeister Herbert Materna. Er lässt die jungen Trommler an der Stadtmauer entlang marschieren, damit sie Kondition und „feeling“ für das Stadtfest bekommen. Die Mauer wirkt wie ein Verstärker, der den Klang der Trommeln in den Gassen der Altstadt widerhallen lässt.

 

Dinkelsbühls Stadtmauer ist ein Denkmal, für dessen Sanierung die Stadt in den nächsten Jahren an die zehn Millionen Euro aufbringen muss. Reinhold Herbst baut gerade ein eingestürztes Mauerteil neu auf. Der Steinmetz bearbeitet den Sandstein zwar mit modernen Maschinen, aber das Ergebnis ist eine Mauer, die in ein paar Jahren sich harmonisch ins Gesamtbild einfügen wird. Für den Dinkelsbühler ist die Stadtmauer mehr als eine schlichte Wand aus Steinen. Er sieht in ihr ein Bauwerk, das dem Ort und seinen Bewohnern eine besondere Identität verleiht. Und nicht nur ihnen. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Maler die Stadt, in der die Zeit stehen geblieben zu sein schien. Sie stiegen im „Weißen Ross“ ab, malten die mittelalterlichen Winkel und beglichen Kost und Logis mit ihren Bildern. Im „Weißen Ross“ kann man dieser Zeit heute noch nachspüren.

 

Ein geradezu sinnliches Verhältnis zur Mauer pflegt Erika Haas. Die ältere Dame hat sich eine lauschige Ecke am Fuß der Mauer angelegt, wo sie mit ihrem verstorbenen Mann viele Stunden verbrachte. Für sie ist die Mauer ein Biotop voller kleiner Lebewesen und vieler Pflanzen, darunter sogar einige heilkräftige. So haben viele Bewohner von Dinkelsbühl eine Geschichte zur Stadtmauer parat. Sie leben an und mit ihr. Gäbe es die Mauer nicht, wäre die Stadt heute eine andere - und vermutlich nicht so schön.


Buch & Regie: Matti Bauer

Kamera: Martin Rösner

Schnitt: Laura Heine

Ton: Harti Küffner  

Tonmischung: Klaus Peintner 

Sprecher: Elmar Wepper

Redaktion: Yvonne Belohlavek

Bayerischer Rundfunk 2019